Einige persönliche Gedanken über eine bedrückende Nachricht aus Russland.
Immer mehr Denunziationen in Russland
Eine bedrückende Nachricht aus Russland erreichte uns vor einigen Tagen. Zu lesen war: „Immer mehr Denunziationen in Russland; immer mehr Menschen zeigen Freunde und Nachbarn an oder geben Behörden Tipps, was andere angeblich falsch machen.“ Ein Internetportal in Russland hat ermittelt, dass seit dem russischen Krieg gegen die Ukraine immer mehr Menschen Anzeige erstatten gegen andere Menschen – wegen „Beleidigung der Armee“, wegen „Russenhass und Drogen“ oder weil andere angeblich „homosexuell“ seien.
Das Internetportal sagt, es seien in den gut zwei Jahren seit Februar 2022 in Russland geschätzt mindestens fünf Anzeigen pro Tag bei den Behörden eingegangen. Ein Mann, der auf der Straße den Krieg verspottet habe, sei zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt worden. Andere Angezeigte säßen in Untersuchungshaft.
Der größte Lump im ganzen Land ...
„Der größte Lump im ganzen Land, das ist und bleibt der Denunziant.“ Dieses Zitat wird dem deutschen Dichter Hoffmann von Fallersleben (1798–1874) zugeschrieben. Viele wissen noch oder haben gelernt, wie es im „Dritten Reich“ und in der DDR war – wenn man sagte: „Psst!“, der Nachbar!“ und sich also fürchtete, die Nachbarn könnten etwas hören und einen vielleicht anzeigen.
Wohlgemerkt: es geht hier nicht um schwere Gesetzesverstöße oder Straftaten zu Lasten anderer, die zur Anzeige gebracht werden müssen. Diese bleiben rechtens. Es geht um Verrätereien, mit denen man Menschen anschwärzt, um selber gut dazustehen. Es geht um das „Sich-Lieb-Kind-machen“ bei Behörden und dem Staat. Das ist schäbig. Damit will man anderen nur eins auswischen.
Anzeigen will ich nicht
In diesem Zusammenhang kann ich nur persönlich sagen: Ich möchte so etwas möglichst nicht tun. Ich möchte in einer Diktatur Widerständler und stille Proteste gegen die Regierung nicht anzeigen. Ich möchte andere Menschen wegen einer anderen Meinung nicht, wie man so sagt, „ans Messer liefern“. Lieber bleibe ich still – selbst wenn meine Meinung eine andere sein sollte. Oder ich spreche direkt mit jemandem, dessen Ansicht mir nicht passt. Aber Anzeigen will ich nicht.
Ich möchte Menschen nicht verraten. Zwei Jünger aus der Gruppe um Jesus lernen, was ein Verrat mit ihnen selber macht, als ihnen bald darauf ein Licht aufgeht. Judas ist bestürzt über sich; Petrus weint über sich. Beide können sich nicht mehr erklären, was sie angetrieben hatte. Darum möchte ich, so gut es geht, vorher zu mir sagen: Mach das nicht.
Auch jeder Verrat von Menschen wird ans Licht kommen. Auf Erden und vor Gott. Ich selber will auch nicht angeschwärzt werden. Deswegen bittet uns Jesus (Matthäus 5,12): Was ihr wollt, dass euch die Leute tun, das tut ihr ihnen auch.
Mit freundlichen Grüßen
Pfarrer Michael Becker
