Die Geschichte von Emil, seinen Haaren – und seinem Herzen, das mitfühlt
Das Ziel heißt Frisör
Heute ist der große Tag. Emil, neun Jahre alt, hat kaum geschlafen. Und ist beim Frühstück am Morgen ziemlich aufgeregt. Heute dreht sich alles um ihn. Er ist am Ziel. Das Ziel heißt Frisör. Emil werden die langen Haare abgeschnitten. Er wollte das so. Die Haare sind drei Jahre lang gewachsen, rotblond und lockig. Heute werden sie abgeschnitten. Emil fürchtet sich davor, obwohl er alles ja genauso gewollt hat. Manchmal haben die anderen ihn gehänselt und gesagt, er sehe aus wie ein Mädchen. Das hat Emil tapfer ertragen. Jetzt fürchtet er sich, wie er wohl aussehen wird mit dann wieder kurzen Haaren. Alles ist verworren in ihm. Aufregend, ängstlich, stolz. Alles durcheinander.
Keine Haare - schlimm
Begonnen hat es vor drei Jahren. Emil war im ersten Schuljahr. Er ging gerne in die Schule. Und hörte von einem Mädchen in der zweiten Klasse. Die hatte Krebs. Emil musste fragen, was das ist. Die Eltern erklärten es ihm. Emil hörte, dass dem Mädchen die Haare ausfallen werden wegen der Medikamente, die es bekommt. Später sah er das Mädchen. Mit einem Kopftuch. Und hatte genug Fantasie, wie es unter dem Kopftuch aussieht. Keine Haare. Schlimm, dachte Emil nur. Und hörte von den Eltern, dass das Mädchen eine Perücke hat. Schön ist die nicht, sagten die Eltern. Aber besser als nichts. Die guten Perücken sind aus echtem Haar, sagten die Eltern. Aber das muss man erst mal bekommen. Emil hörte das alles. Und machte sich seinen Plan.
Zwei kräftige Schnitte, weg sind die Haare
Er ließ seine Haare wachsen. Drei Jahre lang. Heute gehen ihm die Haare bis fast zum Po. Aber nicht mehr lange. Denn Emil wird seine Haare spenden. Für Echthaarperücken. Nun geht es zum Frisör. Die Zeitung ist auch schon da. Und die Eltern, dazu Emils Geschwister und zwei Freunde. Immer noch ist Emil aufgeregt, ängstlich, stolz. Erst werden seine Haare geflochten. Emil bekommt zwei dicke Zöpfe. Dann kommt die scharfe Schere. Zwei kräftige Schnitte, weg sind die Haare. Sie liegen auf einem Tisch. Emil schaut nur kurz hin. Dann holt sich der Frisör einen Kamm, die kleine Schere und macht Emil eine neue Frisur. Emil erkennt sich kaum wieder im Spiegel. Der Fotograf der Zeitung macht Bilder, Familie und Freunde klatschen. Als wären alle erleichtert, dass es endlich vorbei ist. Emil schaut dauernd in den Spiegel. Er muss sich noch gewöhnen an den neuen Emil. Drei Jahre sind eine lange Zeit.
Dann schneidet er ein paar Grimassen vor dem Spiegel. Alle müssen lachen. Und sind stolz auf den Jungen. Neun Jahre alt. Und schon ein Herz, das mitfühlt. Mit der Last von anderen. Die er gar nicht kennt. Nur ihren Schmerz. Den er nun etwas kleiner gemacht hat.
Mit freundlichen Grüßen
Pfarrer Michael Becker

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