Gedanken zu der Novelle „Der Tod in Venedig“ – anlässlich des 150. Geburtstages von Thomas Mann (6. Juni 2025); mit Psalm 139
Ein Mann verbirgt sich vor sich selber
Ein Mann verbirgt sich vor sich selber – und lernt sich neu kennen. Das ist ein Thema der weltberühmten Novelle von Thomas Mann aus dem Jahr 1911 mit dem Titel: „Der Tod in Venedig“ (verfilmt 1971). Am 6. Juni würde der Lübecker Thomas Mann 150 Jahre alt.
Äußerlich geschieht wenig in dieser Novelle von etwa 80 Seiten. Der berühmte und verwitwete Schriftsteller Gustav von Aschenbach ist erschöpft und fährt zur Erholung nach Venedig. Dort sieht er den etwa 14-jährigen Tadzio und verliebt sich in ihn, mit Genuss und Schrecken – aber alles im Stillen, ohne Worte. Aschenbachs Verlangen ist groß. Es entsetzt ihn, aber er beherrscht es – während in Venedig die Cholera ausbricht. Darüber redet niemand. Alle Mitarbeitende in den Hotels bemühen sich, das Wort „Seuche“ nicht zu gebrauchen.
Die Familie des Jungen Tadzio kann noch abreisen; von Aschenbach nicht. Er hatte es versucht, kehrte aber um, weil er den Knaben weiter anschauen wollte. Mit dem Namen des Jungen auf den Lippen und dem Blick aufs Meer stirbt er, in einem Strandkorb sitzend.
Beschämt verfolgt man die Beschämung des großen Schriftstellers
Große Literatur, sagt man, zeichne sich dadurch aus, dass sie auf engem Raum viele Deutungen zulasse. Das ist hier der Fall. Beschämt verfolgt man die Beschämung des großen Schriftstellers, der erkennt, wer er sein möchte – und darüber zutiefst erschrickt. Wir lesen und erfahren aber auch von den Ängsten der Menschen, als die Cholera ausbricht. Und wir lesen zwischen allen Zeilen Todesängste – auch die des Verfassers Thomas Mann, der sich selber sexuelle Seiten seines Lebens verborgen hielt.
1929 erhält Mann den Nobelpreis für Literatur, vor allem für seine Werke „Buddenbrooks“ (1901) und „Der Zauberberg“ (1924). Vor siebzig Jahren stirbt Mann in Zürich.
Erforsche mich, Gott!
Wir können nie alles von uns kennen, lehrt die Novelle. Vielleicht glauben wir es, erleben aber dann in einem Augenblick, wozu wir auch fähig sind – oder unfähig. Ein weiser Mensch, sagt man, versucht täglich, sich neu kennenzulernen oder neue Seiten an sich kennenzulernen. Es ist klug, immer die eigenen Erfahrungen zu bedenken; und es ist weise, nicht allein den eigenen Erfahrungen zu trauen. Es ist mehr Welt, als wir uns träumen lassen – es ist auch mehr Welt in uns, als wir uns jemals vorstellen können.
Daran denkt Psalm 139 (Verse 23-24), vielleicht 2.500 Jahre alt, wenn er betet: Erforsche mich, Gott, und … sieh, ob ich auf bösem Wege bin, und leite mich auf ewigem Wege. Hier traut sich jemand nicht über den Weg. Darum bittet er oder sie, geprüft zu werden von Gott, der „unsere Gedanken von ferne versteht“. Bitten ist eine große Hilfe. Oft fehlt uns die Weisheit des Überblicks. Die hat Gott. Bitten wir ihn darum – und vertrauen wir dem liebenden Gott. Er schenke uns seinen pfingstlichen Geist der Weisheit.
Gemeinsames Gebet / Gebet im Wechsel von Psalm 139, 1-12.23-24
Mit freundlichen Grüßen
Pfarrer Michael Becker

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