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Den Sonntag im Blick – Mitgefühl

Den Sonntag im Blick
Den Sonntag im Blick © Michael Tillmann

Ich möchte Ihnen heute eine kleine Geschichte erzählen. Es ist eine Geschichte über das Mitgefühl, eine Geschichte über die Liebe, eine Geschichte über die Nachfolge:

Eine Geschichte über das Mitgefühl

Eines Morgens auf dem Weg zur Arbeit kam Peter – wie fast jeden Morgen, wenn er nicht im Homeoffice arbeitete – auf dem Weg zu seinem nächsten Bus an dieser Stelle vorbei. Doch heute war alles anders als sonst.

Trotz des diffusen Dämmerlichtes wurde sein Blick magisch angezogen von dem doch recht großen Stoffpinguin, der am vergangenen Tag – oder wahrscheinlicher in der vergangenen Nacht – an dem Absperrgitter, das die Passanten vor den ankommenden und abfahrenden Bussen schützt, abgestellt worden war. Oder muss man besser sagen: entsorgt? In seiner ganzen Schäbigkeit: ein fehlendes Auge, ein dreckiger Bauch und beschmutzte Füße, vielleicht ein abgerissener Flügel. Müll, illegal am Straßenrand abgestellt.

Peter fühlte sich schlagartig wie benommen, schlimmer noch: als hätte eine Faust nach seinem Herzen gegriffen; einen Moment lang war es ihm, als zerreiße sein Herz. Tränen schossen ihm in die Augen – er schimpfte sich einen sentimentalen Narren. Doch er wusste, warum er so reagierte. Dieses so achtlos abgestellte Stofftier erzählte eine Geschichte, ach was, eine ganze Bibliothek an Geschichten. Es erzählte die Geschichte vom Hacky-Bär, Peters heiß geliebtem Stoffteddy, viel kleiner als der Pinguin, doch in einem Abschnitt von Peters Leben sein Ein und Alles; irgendwann kaputt geliebt und dann doch – in der Pubertät – vergessen. Verloren gegangen und damit ein Stück Kindheit. Und Peter fragte sich, welches Kind an diesem Morgen, vielleicht weinend, seinen Stoffpinguin vermisste.

Die nächste Busfahrt und der beginnende Arbeitstag ließen den Pinguin in den Hintergrund treten. Erst am Abend, beim Blick auf sein Smartphone – er hatte nicht anders gekonnt und den Pinguin fotografiert – kam ihm das Stofftier wieder in den Sinn. Die Beklemmung des Morgens wich einem starken Schamgefühl: Hatte schon einmal ein Obdachloser, ein Bettler am Straßenrand eine ähnlich starke emotionale Reaktion bei ihm hervorgerufen? Ehrlich musste sich Peter eingestehen, dass er sich an keinen Moment erinnern konnte. Warum nicht? Warum berührten ihn die Schäbigkeit und die Verletzungen der Menschen, welche die Gesellschaft auch entsorgt zu haben schien, so viel weniger? Vielleicht, weil er die Geschichten dieser Menschen nicht kannte und nicht zu seiner Geschichte machen konnte oder wollte. Und Peter nahm sich vor, daran etwas zu ändern. Ein offenes Herz zu haben für Menschen, die sein Mitgefühl brauchen.

Das ist es, was Peter machen möchte. Er will sein Herz den Menschen in Elend und Leid öffnen, weil Gott sein Herz für ihn, Peter, und für alle Menschen geöffnet hat. Und vielleicht erfährt er auch, wie wertvoll und wie wahr eine eigentlich absurde, ja paradoxe Erkenntnis des Glaubens ist: Wer sich dem Schmerz eines anderen öffnet, lindert das eigene Leid.

Mit freundlichen Grüßen

Michael Tillmann

Seit fast dreißig Jahren Redakteur, Lektor und Marktmanager für den Bereich Kirche im Bergmoser und Höller Verlag AG.

Autor Michael Tillmann

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