Sonntagsgedanken zur Verkündigung des Wortes Gottes anhand der Abschiedsrede des Mose im Buch Deuteronomium.
Krisensituation
Das Buch Deuteronomium, das fünfte Buch des Alten Testaments, ist die große Abschiedsrede des Mose an der Grenze zum Gelobten Land, in das er nicht mit hineinziehen wird. Stunde des Abschieds, und Mose schaut noch einmal zurück auf die Befreiung aus der Sklaverei und auf die Wanderung durch die Wüste. Und er schärft dem Volk noch einmal die Gebote Gottes ein – dies macht den größten Umfang des Buches aus, dessen Name übersetzt folgerichtig auch „Zweites Gesetz“ bedeutet.
Die Stunde des Abschieds ist für das Volk Israel eine zweifache Krisensituation. Wer wird – wenn Mose nicht mehr da ist – zwischen Gott und dem Volk vermitteln, wer wird Gottes Worte übermitteln? Zugleich ist das Gelobte Land auch einn Land der Versuchung: Dort werden andere Götter verehrt und abergläubische Praktiken gepflegt. Eine zweifache Krisensituation, die unserer Lebenssituation nicht unähnlich ist. Fast täglich betreten wir Neuland – sei es in privaten oder beruflichen Situationen. Und auch die Rahmenbedingungen des Lebens sind einem rasanten Wechsel unterworfen: die politische Großwetterlage, der technische und medizinische Fortschritt, die digitale Revolution sind nur wenige Stichworte, die den Wandel skizzieren. Und der Versuchungen gibt es ebenfalls viele.
In die Krisensituation des Volkes Israel verspricht Mose den Menschen, dass Gott ihnen immer wieder Propheten senden wird, die sein Wort verkünden werden. Dieses Versprechen kommt mit Jesus zur Vollendung, der – wie es im Evangelium heißt – lehrt wie einer, der göttliche Vollmacht hat. Er ist das Mensch gewordene Wort Gottes, dem sogar die unreinen Geister gehorchen. Und heute?
Abnehmende Zahlen
Die Zahl der Kirchen – die traditionellen Orte der Verkündigung – nimmt ab. Laut einer neuen Studie wurden in Deutschland seit der Jahrtausendwende über 500 Kirchen geschlossen, nicht wenige davon sogar abgerissen. Auch die Zahl der Priester, der Pfarrerinnen und Pfarrer – die traditionellen Verkündiger des Wortes Gottes – nimmt ab. Und die Zahl der Gottesdienstbesucher stagniert auf niedrigem Niveau oder sinkt. Keine guten Rahmenbedingungen, doch die Lösung kann nicht sein, auf die Verkündigung zu verzichten. Dann muss Verkündigung hinaus auf die Straße, dann müssen sich alle Getauften dieser Aufgabe annehmen. Wie auf dem Katholikentag in Leipzig, als vor dem Bahnhof diese Kanzel errichtet wurde, die für jeden zugänglich gewesen ist. „Den Menschen etwas Gutes sagen“ – das ist heute so notwendig wie vor dem Übergang ins Gelobte Land, wie in Kafarnaum vor fast 2.000 Jahren. Orientiert an dem Wort Gottes – symbolisiert durch den Adler und den Löwen, die für die Evangelisten Johannes und Markus stehen.
Gottes Wort verkünden
Die Kanzel vor dem Leipziger Hauptbahnhof war eine zeitlich befristete Kunstaktion – kaum zur Nachahmung geeignet. Ich fühle mich auch nicht berufen, mich an eine Straßenecke zu stellen, um dort Gottes Wort zu verkünden. Doch deshalb muss ich nicht sprachlos sein. Zwei Dinge sind mir dabei wichtig:
Erstens: Nichts anderes zu verkünden als Gottes Wort. Zweitens: Den eigenen Glauben klar formulieren. Der Glaube, der Halt gibt, darf nicht schwammig sein. Im Gegenteil: Darf, ja muss sogar manchmal sperrig sein, auch schwierig. Ich denke, ein Glaube ohne Ecken und Kanten, kann auch nicht helfen, wenn es im Leben – um im Bild zu bleiben – mal nicht rund läuft. Und muss – gerade heute – eines betonen: Der Mensch ist nicht das Maß aller Dinge, sondern Gott. Doch all das hilft wenig, wenn eins fehlt: das persönliche Glaubenszeugnis. Glaube ist Kopf- und Herzensangelegenheit; für das ganze Leben und mit jeder Faser möchte ich glauben – und das sollen die Menschen, mit denen ich lebe, auch spüren.
Mit freundlichen Grüßen
Michael Tillmann
Seit fast dreißig Jahren Redakteur, Lektor und Marktmanager für den Bereich Kirche im Bergmoser und Höller Verlag AG.
