Holger S., 41 Jahre, erzählt seine Geschichte dem Regionalfernsehen. Und überlegt dabei, wie der Himmel in sein Leben kam.
Seltsam hoffnungslos
Es gab einen Tag, erzählt Holger S., 41 Jahre, im Regionalfernsehen, der mein Leben verändert hat. Ich war 34 Jahre alt, als der Tag kam. Und wog 140 Kilo. Ich hatte seltsame Schmerzen und ging zum Arzt. Der schickte mich in eine Klinik. Dort stellten sie fest, dass ich Krebs hatte.
Dann geschah, was geschehen musste. Der Krebs wurde bestrahlt, ich bekam Chemo. Die Ärzte machten mir Hoffnung, an die ich aber nicht glaubte. Schließlich wurde ich operiert. Später sagten alle, ich sei geheilt. Im Körper sei kein Krebs mehr. Ich wurde nach Hause entlassen. Und war auf eine seltsame Weise hoffnungslos, erzählt Holger S. und schaut wie verloren in die Kamera.
Meine Seele war so schwer
Eigentlich war alles in Ordnung, erzählt er dann weiter. Nur – ich fühlte es nicht. Ich war krankgeschrieben, fühlte mich aber nicht krank. Dafür lag ich herum. Meine Seele war so schwer wie mein Körper. Mit mir war nichts los.
Dann aber kam der Tag, der alles veränderte. Ich weiß es wie heute, auch nach sechs Jahre noch. Ich lag auf dem Sofa, als meine Mutter von der Arbeit kam, gegen halb fünf am Nachmittag. Sie packte ihre Tasche aus, zog sich um, kam in mein Zimmer und sagte: „So kann das nicht weitergehen. Los, wir gehen jetzt spazieren.“ Das taten wir. 15 Minuten, mehr schaffte ich nicht. Und am nächsten Tag wieder. Ein paar Tage hintereinander. Und auf einmal, vielleicht nach einer Woche, fand ich Spaß dran. Und ging von selbst. Erst 30 Minuten, dann 40, dann trabte ich ein bisschen, dann joggte ich. Und immer so weiter. Na ja, was soll ich sagen. Heute wiege ich 71 Kilo und laufe Halbmarathon in etwa vier Stunden. Und meine kleine Tochter feuert mich an.
Hoffnung wächst mit jedem Schritt
Holger strahlt, als er das erzählt. Der Krebs war eigentlich der Moment, sagt er, der mich auf eine neue Spur brachte. Nur wusste ich das lange nicht. Bis meine Mutter sagte: „Los, wir gehen jetzt spazieren.“ Da muss etwas in mir aufgewacht sein, sagt Holger und schaut an der Kamera vorbei. Wie so bei einer Kastanie, wenn die Schale platzt und die Frucht rauskommt.
Nach den ersten Spaziergängen hatte ich auf einmal Hoffnung, ganz kleine. Aber sie wuchs mit jedem Schritt, sozusagen. Als habe mir jemand gesagt: Holger, du kannst das. Und irgendwann, beim Laufen, habe ich mir mal überlegt, wer oder was das denn war mit dem ‚Du kannst das‘. Und denke mir heute, sieben Jahre später, dass der Himmel mich irgendwie nicht alleine gelassen hat. Schon in der Klinik nicht. Ich habe ihn nur lange Zeit nicht gehört. Aber dann war der Moment da: „Los, wir gehen jetzt spazieren.“ Das sagte meine Mutter damals. Aber irgendwie doch auch der Himmel, sagt Holger. Wer kann das schon so genau auseinanderhalten.
Mit freundlichen Grüßen
Pfarrer Michael Becker
