Die Nacherzählung eines Fotos, das nach der Sprengung des Staudamms in der Ukraine entstand und neulich im Internet gezeigt wurde.
Ein Bild der Liebe
Von einem Bild der Liebe muss ich Ihnen heute erzählen. Weil das Bild so wunderschön ist. Das Foto wurde aufgenommen, nachdem in der Ukraine der Staudamm gesprengt worden war. Bis heute wissen wir ja nicht genau, wer dafür verantwortlich war. In einem Krieg wird versucht, jede Wahrheit sofort zu verschütten. Ist es aber wirklich vorstellbar, dass die Ukraine ihr eigenes Land unter Wasser setzt und Menschen, Tiere und Getreide gefährdet oder gar vernichtet?
Jedenfalls war Tatsache: Weite Landstriche in der Ostukraine waren in kürzester Zeit unter Wasser: Wiesen, Felder, Straßen und Häuser. Die Kräftigen wussten sich sofort zu helfen. Die Alten und Kranken aber waren ratlos.
In einem Haus steht eine alte Frau in der offenen Haustür bis zu den Knien im Wasser. Sie ruft um Hilfe. Ein Feuerwehrmann kommt. Er nimmt die Frau auf seine Arme und trägt sie zu seinem Boot. Beide lachen auf dem Bild der Liebe, das in Zeitungen im Internet zu sehen ist.
Und dann, so erzählt es der Fotograf zu seinem Foto, bricht es aus der lachenden Frau heraus. Und sie ruft: So schön bin ich nicht mehr getragen worden seit meinem Hochzeitstag.
Was für eine Liebe. Das Bild sieht aus, als trage der Feuerwehrmann die Frau wie nach ihrer beider Trauung nach Hause. Beide leben mitten in einer gewaltigen Katstrophe, im Unheil; und dann lachen sie sich sozusagen das Heil herbei. Weil einer der anderen Last trägt. Vielleicht zehn Meter weit trägt der Mann die Frau zum Rettungsboot. Der Starke trägt die Schwache. Und dabei lachen beide sich das Glück herbei.
Ein großes Bild der Liebe. Dabei ist es ja, genau betrachtet, nichts außergewöhnliches. Ein Mensch hat Not. Ein anderer packt an. So geht das mit der Liebe. Dann fragt man nicht lange und überlegt nicht, welche Vorschrift jetzt gelten könnte. Es gibt ja nur eine: Der Kräftigere tut einfach das jetzt Nötige.
Liebe tut immer das Nötige. Die Liebe und wir Menschen können nicht alle auf der Welt retten. Aber den oder die, die gerade neben uns sind, denen können wir beistehen mit unserer kleinen Kraft. Geh hin, würde Jesus uns sagen, geh hin und mach es wie der Samariter damals und wie der Feuerwehrmann heute. Überlege nicht, ob Du Zeit hast oder ob vielleicht ein anderer oder eine andere besser helfen könnte.
Geh einfach Du hin, wenn Du es irgendwie vermagst. Sei ein Bild der Liebe – für diesen Augenblick. Schenke einem Menschen Deine Liebe, Deine Kräfte. Und Du rettest ihm seine Welt.
Mit freundlichen Grüßen
Pfarrer Michael Becker

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