Eine außergewöhnliche Geste wird von der Snookerweltmeisterschaft erzählt. Wer Unterlegene ehrt, veredelt seinen Sieg .
Dem Verlierer die Hand schütteln
Das Publikum in Sheffield, England, jubelt. Gerade ist Kyren Wilson, 32 Jahre alt, Weltmeister im Snooker geworden, einer besonderen Art des Billard. Dieser Weltmeistertitel ist der größte Triumph in seiner bisherigen Karriere.
Aber was dann geschieht, lässt das Publikum noch mehr jubeln, in geradezu helle Begeisterung geraten. Der sechsjährige Sohn des Siegers umarmt erst seinen Vater, dann geht der Junge zum Verlierer, drückt ihm die Hand und verbeugt sich leicht vor ihm. Ein Zuschauer sagt hinterher: „Mein Herz ist geschmolzen, als der Kleine zum Verlierer ging, um ihm die Hand zu schütteln.“ Was für eine Geste, was für ein ehrendes Fair Play gegenüber dem Unterlegenen.
Der Sieger hatte kein leichtes Leben bis zu seinem Triumph. Er musste immer wieder sein Training unterbrechen, um Geld für sich und seine Familie zu verdienen. Im Jahr 2020 war er schon einmal im Endspiel und verlor. Danach sagte er: „Ich muss erst mal wieder von ganz unten anfangen und mich selbst wiederfinden.“ Und nun der Sieg; und dazu das große Herz seine Sohnes. Wer Unterlegene ehrt, veredelt seinen Sieg.
Den Sieg aufwerten
Viele Siege wirken dagegen eher schmutzig. Die Sieger bringen sich in Pose, gönnen den Verlierern keinen Blick mehr. Manchmal verspotten sie auch die, die sich sowieso schon gedemütigt fühlen durch die Niederlage. Presse und Fernsehen tun in ihren Berichten oft ein Übriges.
Der Snookerweltmeister aber ist anders. Vor allem sein sechsjähriger Sohn hat ein Gefühl für den Verlierer. Er zeigt ihm seine Achtung. Das ist eine Geste, die den Sieg aufwertet und die Herzen der Zuschauer gewinnt.
Für mehr Gerechtigkeit sorgen
Als Jesus einmal auf einen Verlierer trifft, findet er auch eine besondere Geste (Lukas 19,1-10). Der Zöllner Zachäus ist zwar reich, aber ein Verlorener. Zöllner, also Zollbeamte, konnten damals in die eigene Tasche wirtschaften. Sie gehörten zu den Gewinnern. Unter Menschen aber waren sie Verlierer, Ungeachtete. Das schmerzte Zachäus.
Als er hört, dass Jesus in seine Stadt kommt, steigt er auf einen Baum, um Jesus besser sehen zu können. Offenbar verspricht er sich etwas vom Blick auf Jesus. Er behält Recht. Jesus sagt zu ihm: Komm runter vom Baum, ich muss heute in deinem Haus einkehren.
Jesus lädt sich ein beim Ungeachteten. Das bringt Zachäus beinahe aus dem Häuschen. Darum sagt er zu Jesus: Herr, die Hälfte von meinem Besitz gebe ich den Armen. Zachäus, unter Menschen ein Verlorener, fühlt sich wertgeschätzt. Und erkennt, was er tun kann. Er wird für mehr Gerechtigkeit sorgen. Zachäus erringt einen persönlichen Sieg – den Sieg über sich selbst. Ein Sieg, der zum Gewinn wird. Zachäus wird zu einem geachteten Menschen.
Mit freundlichen Grüßen
Pfarrer Michael Becker
