Widerstand – wie geht das?
Gedanken zum 80. Jahrestag des deutschen Widerstands am 20. Juli 1944
Erstaunlicher Mut
Manchmal ist Widerstand schwer oder unmöglich. Man fürchtet dann um das eigene Leben und wagt nicht, Mächtigen zu widersprechen oder sich gar mit Taten gegen eine verbrecherische Regierung zu wenden.
So war das in der Zeit des sogenannten „Dritten Reichs“ 1933 bis 1945. Viele bezahlten ihren Widerstand mit dem Tod oder langen Gefängnisaufenthalten. Auch die Widerständler vor achtzig Jahren, am 20. Juli 1944, von denen sehr viele hingerichtet wurden. Umso erstaunlicher bleibt ihr Mut.
Eine kleine Geschichte
Manchmal kann Widerstand aber auch leicht sein. Und trotzdem deutlich. Davon erzählt eine kleine Geschichte, die Emmi Bonhoeffer erlebt hat, die Schwägerin von Pfarrer Dietrich Bonhoeffer.
Gegen Ende 1941, so erzählt Emmi Bonhoeffer, fuhr sie in Berlin mit der Straßenbahn. Die Bahn war voll. Am Kurfürstendamm stieg eine alte, gebrechliche Dame ein; der Stern an ihrem Mantel kennzeichnete sie als Jüdin. Ein Arbeiter stand auf, machte ihr Platz und sagte in seiner gutmütig schnoddrigen Berliner Art: „Na, setz dir man hin, kleine Sternschnuppe.“ Sie traute sich nicht, der Aufforderung zu folgen, zumal ein Schaffner kam und den Mann anfuhr: „Sie wissen doch, dass Juden nicht sitzen dürfen.“ Darauf der Mann: „Nun will ick dir mal wat sagen, Freundchen. Über meenen Hintern bestimme ick selber.“ Sprach’s und stieg aus.
Emmi Bonhoeffer, die diese Szene beobachtet hatte, drückte die alte Dame auf den Platz und flüsterte ihr zu: „Bleiben Sie ruhig sitzen.“ Dann stand sie solange neben ihr, bis sie aussteigen musste. Der Schaffner erhob keine Einwände mehr.
Jeder Mensch verdient Achtung
Natürlich ist das nur ein winziges Beispiel für öffentlichen Widerstand. Aber auch im Kleinen zeigt es, wie es sein kann, Menschen zu schützen. Und was es heißt, Menschen beizustehen, die alle Kinder des einen Gottes sind. „Entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut“, bittet uns der Prophet Jesaja (58,7) im Namen Gottes.
Tut nicht so, sagt die Bitte des Propheten, als würdet ihr nichts sehen und hören von dem, was um euch herum vorgeht. Vom Wegsehen geht nichts weg. Vom Einschreiten schon eher, sagt die Geschichte der Emmi Bonhoeffer. Manchmal genügt es, tapfer eine andere Meinung zu bekennen, damit Menschen zur Besinnung kommen. Und die Besinnung heißt: Jeder Mensch verdient Achtung. Kein Mensch verdient, niedergemacht zu werden.
Nicht alle Kinder Gottes sind gute Menschen. Leider ist das so. Aber bei vielen Gelegenheiten unseres Alltags gilt es vor allem, Menschen zu achten, ihnen mit Achtung zu begegnen. Andere sind nicht unsere Gegner, sondern Mitmenschen. Oft gibt es keine Gründe dafür, andere verächtlich zu machen oder verächtlich zu behandeln.
Wer Menschen achtet, ehrt Gott.
Mit freundlichen Grüßen
Pfarrer Michael Becker
