Gemeindeportal

Das Vaterunser – Teil 1

In jedem Vers steckt tieferer Sinn
In jedem Vers steckt tieferer Sinn ©Love You Stock - stock.adobe.com

Es ist DAS Gebet des Christentums, von Jesus selbst überliefert. Das Vaterunser. In jedem Vers steckt tieferer Sinn. So wollen wir Zeile für Zeile über dieses Gebet nachdenken, um auch nach 2000 Jahren noch neue Facetten zu entdecken.

Vaterunser Kalligrafie von Silke Schmithausen

Vater unser im Himmel

„Herr, lehre uns beten.“ Die Bitte des Jüngers (Lukas 11,1) spiegelt die moderne Unsicherheit wider: Wer ist Gott? Wie steht er zu mir? Wie kann ich in Kontakt mit ihm kommen? Jesu Reaktion darauf ist keine theologische Erläuterung, sondern das Vaterunser: „Vater unser im Himmel …“. „Abba – lieber Vater“: dies ist eine kindliche Anrede voller Vertrauen, frei von Enttäuschungen. Ein Vertrauen, wie es Vincent van Gogh in seinem Gemälde „Die ersten Schritte“ ins Bild gesetzt hat: das kleine Kind wagt die ersten, noch unsicheren Schritte in die weit geöffneten Arme des Vaters. Gott möchte, dass wir ihn menschlich anreden, in kindlichem Glauben. Das ist der erste Aspekt.

Hinzu kommt, dass der Vater auch derjenige ist, an dem sich der Heranwachsende reibt, gegen den die zu gewinnende Freiheit zu verteidigen ist. Die Opposition des Heranwachsenden gegen den Vater ist etwas völlig Natürliches und das gilt auch für den Weg des Menschen vom Kinderglauben zum Erwachsenenglauben. Das Gleichnis vom verlorenen Sohn erzählt, dass Gott die Opposition zulässt, ohne dass der Mensch aus seiner Liebe fällt. Entscheidend ist, dass Gott auf dem Weg vom kindlichen zum erwachsenden Glauben nicht aufhört, Vater zu sein. Seine Arme bleiben weit geöffnet und er möchte nichts anderes als unser Vertrauen. „Vater“ bleibt der Name, bei dem wir Gott beim Wort nehmen dürfen.

Doch der Vater-Begriff ist in die Krise geraten. Kinder erleben Väter abwesend, zu beschäftigt oder gar gewalttätig. Deshalb beten wir auch: „Vater unser im Himmel“. Menschlich dürfen wir Gott begegnen und zugleich übersteigt er alle menschliche Begrenztheit, die Fehlerhaftigkeit menschlicher Väter. Irdischer Verlassenheit setzt Gott die Geborgenheit bei ihm gegenüber. Wir „verlorenen Menschen“ dürfen immer wieder heimkehren. Und zuletzt gilt auch das, was Paul Roth geschrieben hat: „Es gibt keinen Namen für dich, der alles sagt, für alle Zeit, für jeden. Weil nicht alles gesagt werden kann, weil jede Zeit und jeder Mensch dich und deinen Namen neu finden muss.“

Vaterunser Kalligrafie - Geheiligt werde dein Name
Vaterunser Kalligrafie von Silke Schmithausen

Geheiligt werde dein Name

Im Rahmen einer Aachener Heiligtumsfahrt vor einigen Jahren wurden Grundschulkinder gefragt, was ihnen heilig sei. Die Antworten machten deutlich, wie die Kinder das Wort „heilig“ interpretierten: Heilig war, was ihnen wichtig, zum Teil existenziell wichtig gewesen ist. Eine Antwort, mit der wir uns der ersten Bitte des Vaterunsers nähern können. „Geheiligt werde dein Name“: Dein Name ist mir wichtig, es ist mir existenziell wichtig, dich im Gebet anzusprechen. Doch die Bitte um die Heiligung des Namens Gottes enthält viel mehr: Es ist eine Mahnung vor dem Versuch, Gott vollständig erklären; ganz in den Bereich menschlichen Verstehens hineinzwängen zu wollen.

Gerade der Versuch, menschliches Leid mit dem Wirken Gottes erklären zu wollen, stellt eine Entheiligung des Namens Gottes dar. Vielmehr ist die Bitte „Geheiligt werde dein Name“ die Bitte, dass Gott die unheile Welt heilen möge. Und zugleich ist die erste Vaterunser-Bitte ein heimliches Sündenbekenntnis, eine Bitte um Vergebung. Denn im Namen Gottes sind zahllose Verbrechen begangen worden. Der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber schreibt: „Welches Wort der Menschensprache ist so missbraucht, so befleckt, so geschändet worden wie dieses! All das schuldlose Blut, das um es vergossen wurde, hat ihm seinen Glanz geraubt.“ Doch nicht nur Religionskriege haben den Namen Gottes entheiligt, auch in meinem Leben gibt es Bereiche, die Gott „niemals mit seinem Namen unterzeichnen könnte“, wie es der Theologe Helmut Thielicke sagt, der daraus folgert, dass man das Vaterunser nur dann zur Ehre Gottes beten kann, „wenn man es zugleich gegen sich selbst betet“, weil diese Bitte Ausdruck des Wunsches ist, dass Gott das Wichtigste in meinem Leben ist.

Genauso wenig wir den Missbrauch des Namens Gottes ungeschehen machen können, genauso wenig können wir aufhören, um die Heiligung des Namens Gottes zu bitten. Noch einmal Martin Buber: „Wir können das Wort ,Gott’ nicht reinwaschen, und wir können es nicht ganz machen; aber wir können es, befleckt und zerfetzt wie es ist, vom Boden erheben und aufrichten über einer Stunde großer Sorge.“ Die Bitte „Geheiligt werde dein Name“ bittet Gott das zu tun, was wir selbst so oft nicht können. Dass Gott seinen Namen heilige, weil wir darauf hoffen dürfen, dass auch wir heil werden, wenn Gottes Name einmal geheiligt sein wird.

*

Inzwischen sind alle Teile unserer Reihe zum Vaterunser erschienen. Zur besseren Übersicht finden Sie die komplette Reihe unter diesem Artikel verlinkt.

Mit freundlichen Grüßen

Ihr Redationsteam
vom Gemeindeportal

Weitere interessante Beiträge
Abonnements des Bergmoser + Höller Verlags

BOTSCHAFT Klassiker

Themen-Abo

WERKSTATT Klassiker

WordPress Cookie Plugin von Real Cookie Banner