Es ist DAS Gebet des Christentums, von Jesus selbst überliefert. Das Vaterunser. In jedem Vers steckt tieferer Sinn. In Versuchung werden wir in unserem Leben sicher von Zeit zu Zeit geführt. Auch das Böse ist uns keine unbekannte Kategorie. Doch wie stehen diese Begriffe mit dem guten Gott in Verbindung?

Und führe uns nicht in Versuchung
Diese Vaterunser-Bitte hört sich zunächst unverständlich an; so als wäre es Gott selbst, der den Menschen in Versuchung führt, ihm eine Falle oder ihn auf die Probe stellt. Diesem Missverständnis ist entgegenzutreten. Heißt es doch schon im Jakobusbrief: „Niemand, der in Versuchung gerät, halte Gott für den Versucher “ (1,13). Doch weil Gott seine Liebe nicht mit Macht durchsetzen will, sondern den Menschen die Freiheit gegeben hat, sich auch gegen ihn zu entscheiden, lässt er es zu, dass Menschen in Versuchung geraten. Deshalb bitten wir in dieser Bitte darum, dass wir unsere Freiheit nicht zum Bösen missbrauchen und – wenn wir doch einen falschen Weg eingeschlagen haben – die Kraft und die Einsicht von Gott geschenkt bekommen, umzukehren.
Was bedeutet eigentlich „Versuchung“? Zunächst denken wir dabei an sexuelle Verfehlungen, doch ein Blick auf die Versuchungen Jesu in der Wüste schärfen den Blick. Der Teufel bietet Jesus Möglichkeiten, mit denen er seinen Auftrag, das Reich Gottes auf Erden zu verwirklichen, erfüllen kann: Steine in Brot zu verwandeln gegen den Hunger in der Welt; ein Wunder, um den Glauben zu fördern; die Macht, die Welt zum Glauben zu bekehren – kurzum: Erfolg zu haben.
Der Wunsch nach Erfolg – und das Gegenteil davon – Resignation bei Erfolglosigkeit, sind vielleicht die größten Versuchungen unserer Zeit. „Erfolgsanbetung ist überhaupt die Form des Götzendienstes, die der Teufel am sorgfältigsten kultiviert“ (Helmut Thielicke). Und aus der Erfolgsanbetung folgt dann das Ärgernis des Kreuzes, der Skandal, dass Gott angesichts des Leides schweigt, ohnmächtig ist. Es geht um die Versuchung, an Gott, irre zu werden, den Glauben an ihn zu verlieren, wenn er sich im eigenen Leben als der Unbegreifliche erweist. Jesus hat das selbst am Kreuz erlebt: die ohnmächtige Macht, die wehrlose Liebe Gottes und in dieser Vaterunser-Bitte möchte er uns anleiten, gerade diesem Gott zu vertrauen:
„Es geht um das In-die-Irre-Laufen des Menschen. Es geht um die menschliche Hybris und menschliche Verzweiflung, um die Not der Gottlosigkeit und stolze Selbstgerechtigkeit oder auch einfach: um Gleichgültigkeit. In all dem geht es um die Möglichkeit des Menschen, zu Gott nein zu sagen.“ (Heinz-Dieter Knigge).

Sondern erlöse uns von dem Bösen
Es ist nur folgerichtig, dass sich an die Vaterunser-Bitte „Und führe uns nicht in Versuchung“ die Bitte „sondern erlöse uns von dem Bösen“ anschließt, denn die Existenz des Bösen in der Welt führt Menschen immer wieder dazu, an derExistenz eines guten, liebenden Gottes zu zweifeln.
Für die Beantwortung der Frage, warum es das Böse in der Welt gibt, ist wieder ein Blick in die Schöpfungserzählung hilfreich. Das Böse begegnet uns fast von Anfang an in der Bibel, jedoch erst nachdem der Mensch erschaffen wurde. Falsch wäre jetzt jedoch der Schluss, das Böse läge im Wesen des Menschen, sondern sie entspringt seiner Freiheit. Die ersten Menschen setzen das Böse in Gang, als sie wie Gott sein wollen; von ihnen ausgehend pflanzt sich das Böse so fort, dass jeder Mensch ihm in seinem Leben ausgesetzt ist.
Jeder Mensch wird in eine Welt hineingeboren, in der es das Böse gibt – als eine so mächtige Wirklichkeit, von der sich der Mensch nicht aus eigener Kraft befreien kann, wir müssen von ihr erlöst werden. Wir stellen uns das Böse heute nicht mehr personifiziert in der Gestalt des Teufels vor, doch die Entpersonalisierung des Bösen hat ihm nichts von seiner Gefährlichkeit genommen, das letzte Jahrhundert hat auf unvorstellbar grauenvolle Weise davon Zeugnis abgelegt. Ob wir das Böse nun „Teufel“, „dämonische Mächte“ oder sonst wie nennen, falsch wäre es, von der Vorstellung des Bösen Abschied zu nehmen, denn dann würde die Romanautorin Sigrid Unset recht bekommen, die gesagt hat: „Der beste Schachzug des Teufels in unserer Zeit ist es, dass er die Menschen glauben macht, er existiere überhaupt nicht. Seitdem macht er seine besten Geschäfte.“
Das Böse ist das, was das menschliche Leben bedroht – und dazu gehört nicht nur das, was wir Falsches tun, sondern auch, dass, was wir an Gutem unterlassen („Das Böse, dieser Satz steht fest, ist stets das Gute, das man lässt“, Wilhelm Busch). So gilt für jeden Menschen: Ich bin auch böse, denn jeder fügt anderen Menschen Schaden zu oder bleibt zumindest hinter seinen Möglichkeiten, Gutes zu tun, zurück.
Deshalb beinhaltet die Vaterunser- Bitte auch die Bitte, das Böse in sich selbst nicht auszublenden, denn wie die anderen Bitten enthebt uns auch diese letzte nicht der eigenen Verantwortung, das Böse in uns selbst zu bekämpfen: Im Vertrauen darauf, dass nicht die Macht des Bösen allmächtig ist, sondern die auf Liebe und Vergebung gründende Herrschaft Gottes, dem wir uns im Vaterunser anvertrauen.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr Redationsteam
vom Gemeindeportal