Die Psalmen: Hymnen aus längst vergangener Zeit, oder Schatz für die Ewigkeit? Psalm 22 klingt zu Beginn wie eine Anklage, endet aber mit tiefstem Vertrauen auf Gott, der die Menschen in größter Not eben nicht allein lässt.
Warum hast du mich verlassen?
„Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Dieser Vers 2a aus dem Psalm 22 ist vielleicht einer der bekanntesten Sätze überhaupt. Jesus betet ihn am Kreuz (Matthäus 27,46; Markus 15,34). Die Umstehenden verstehen ihn nicht, als er in tiefster Qual nach seinem Vater ruft; vielen von uns fällt es dagegen nicht schwer, ihn und seine Worte zu verstehen. Wie oft haben wir mit diesen oder ähnlichen Worten nach Gott gerufen – verzweifelt, anklagend. „Warum?“ ist die Frage, die sich automatisch stellt, wenn wir mit unerklärlichem Leid konfrontiert werden.
Eine berechtigte Frage, weil sie mit Gott rechnet, weil sie ihn und sein Wort ernst nimmt. Umso schlimmer, wenn die erlebte Gottverlassenheit die Not noch größer macht, da das Fundament des Lebens, der Glaube, die Beziehung zu Gott wegbricht. Ich weiß, dass die Frage nach dem „Warum?“ keine schnelle, keine leichte Antwort verträgt, weil jede Antwort Gefahr läuft, den Fragenden zu verhöhnen. Aber zugleich ist es eine Frage, die eine Antwort verlangt.
Mitleiden
Der Psalm 22 gibt eine Antwort, die ich ernst nehmen möchte – gerade deshalb, weil der Beter in seiner Klage so rücksichtslos offen ist. Er erinnert sich an die Treue Gottes in der Geschichte – für mich ein Verweis auf Gottes Wort, das mich in der Not stärken kann – doch das allein hilft dem Psalmisten nicht. Er nimmt seine Zuflucht zum Lob Gottes: „Ich will deinen Namen meinen Brüdern verkünden, inmitten der Gemeinde dich preisen.“ Das klingt zunächst widersinnig: Im tiefsten Elend zu loben, doch ich glaube, dass etwas Wahres daran ist: Das Loben hilft – zumindest für einen kleinen Moment – einen anderen Blickwinkel einzunehmen; die erlebte Fürsorge Gottes nicht zu vergessen.
Und Jesus in den Blick zu nehmen: Zu beten in der Erwartung einer Antwort, das scheinbare Schweigen Gottes nicht zu akzeptieren, die Hoffnung nicht aufzugeben. Und ein Letztes kann ich von ihm lernen: Manchmal ist die Frage nach dem Warum des Leides vielleicht auch eine Frage, die mit Worten gar nicht beantwortet werden kann, sondern bei der der Gefragte selbst die Antwort ist: indem er mit dem Fragenden mitleidet.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr Redaktionsteam
vom Gemeindeportal
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